Sie ist unglaublich schön“, sagt ein Schauspieler zum Freund, und beide beobachten vom Café aus eine elegante Gestalt in hochhackigen Pumps und Strümpfen mit Naht, die nachts das Theater gegenüber verlässt. Ihr Gesicht in der Großaufnahme gleich darauf ist so ebenmäßig, dass es richtig wohltut. „Die letzte Métro“ heißt der Film, Catherine Deneuve sein Star. Sie spielt darin die Frau eines jüdischen Theaterdirektors während der deutschen Besetzung von Paris. Ein Widerstandsdrama ist das nicht, auch kein politisches Stück, eherschon eine Paraderolle für eben jene französische Schauspielerin ganz persönlich. Nie vorher, schrieben die Kritiker nach der Premiere, sei Catherine Deneuve eine so hinreißende Beautê gewesen wie hier. Dann kann es die Frau da am Tisch nicht sein, dachte ich: schmal, blass, die Haare, die berühmten, streng zum Pferdeschwanz nach hinten gebunden. Die Augen schützte eine dunkle Sonnenbrille.
Es war wohl immer eine Prozedur. Es war wohl immer ein Stück Arbeit für die Leute vom Fach, aus diesen klaren Zügen das Fabelwesen von der Leinwand zumachen. „Sie kommt morgens um zehn mit blank gescheuertem Gesicht, und dann beginnt ein magischer Vorgang“, sagte einer ihrer Regisseure. „Eine Verwandlung ist das nicht, vielmehr vertieft sich ihre verborgene Schönheit. „Das Ergebnis ist allemal atemberaubend. Die schönste Frau der Welt hat die New York Times sie genannt und mit Greta Garbo verglichen.
Die Schönheit ist auch Jahre danach noch Catherine Deneuves Kapital. Damit geht sie sorgsam um. Bei den wenigen Interviews, die sie gibt, sind Fotografen gänzlich unerwünscht, auch wird man keine Photos von ihr in den Zeitungen finden, die sie en passant auf dem Wochenmarkt zeigen oder wie sie ihre Kinder von der Schule abholt. Mit der rigorosen Informationspolitik stellt sie nicht nur listig sicher, dass allein das perfekte Glanzbild in sanftem Licht die Öffentlichkeit erreicht: ihr Markenzeichen. Sie rettet auch ein bisschen Seelenfrieden – das Publikum bekommt das Produkt, das ihm zusteht, mehr nicht. Privat gehört sie sich selber. Ihren Namen nannten die Franzosen am häufigsten, gefragt, mit wem sie gern einen Seitensprung riskieren möchten. „Wenn man von mir träumt“, sagt diese Frau, „nun gut – aber nur durch das Medium meiner Filme.“
Sie träumen schon bald in der zweiten Generation. Catherine Deneuve war 16, als sie mit ihrer begabten dunkelhaarigen Schwester Françoise Dorléac die ersten Filmchen drehte; jetzt ist sie 41 Jahre alt. „Immer die Schöne zu sein“, sagte sie mir und lachte, „das ist hart. Es strengt an, immer dem Bild zu gleichen, das die Leute von einem haben. Man verlässt leicht das, was man ist“.
Nun gibt es natürlich viele hübsche Mädchen, die haben mit dem Zauber ihrer Züge kaum ein Jahr auf der Leinwand überstanden – wie aber ganze 25? Er habe „ein Mädchen mit einem Engelsgesicht gebraucht, das einen Mann mit der Rasierklinge töten konnte“, sagte Roman Polanski damals, als er die grazile Französin für die Rolle der neurotischen Carol in seinem Film „Ekel“ engagierte. Das war der Beginn einer internationalen Karriere und der Entwurf eines Medientyps, der lange tragen sollte.
Catherine Deneuve griff zu. Fortan war sie die Mysteriöse, jedenfalls in den Filmen, die für sie zählen neben vielen dramaturgischen Leichtgewichten. Gut 50 sind es im ganzen, und da kann man, so der Star, „schließlich nicht einen unvergesslichen pro Jahr machen“. Wo ihr Spiel haften blieb, war sie die unergründliche Sphinx, deren Tun in keinem sichtbaren Verhältnis zu ihrer lichten Gestalt stand. Nie konnte man ihre Beweggründe ahnen, was seltsamerweise nur das Gefühl im Kinogänger verstärkte, das Alabasterbild sei nicht alles, irgendwo glühe schon das Feuer unterm Eis.
Der Darstellungsweise der Deneuve kam das enorm entgegen. In den ersten Jahren wurde ihr harmonisches Gesicht vor allem abgefilmt, später begann sie, konzentriert zu spielen. Obwohl Kind einer Schauspielerfamilie, hielt sie sich für zu schüchtern, um auf der Bühne zu stehen. Überhaupt schien ihr der Part der schönen Geheimnisvollen aufs glücklichste entgegenzukommen. „Das Versteckte“, sagte sie, „liegt mir von meiner ganzen Person her – die Andeutung statt der Ausführung.“ Das Image hatte indessen seinen Preis. Nie wurden einer über Jahre hin bewunderten Schauspielerin so oft Kühle, Ferne, ja Arroganz nachgesagt. Sie nimmt das in Kauf: „Diesen Aspekt der Rolle habe ich mir nicht ausgesucht, damit habe ich mich bloß arrangiert.“ So was schützt, man kann ganz gut damit leben – selbst als nationale Legende.
François Truffaut, erzählte Catherine Deneuve, hat „seine Rollen immer für einen bestimmten Star an einem bestimmten Punkt seiner Entwicklung“ geschrieben. Zweimal für sie selbst, „Catherine Deneuve“, sagte er beim ersten Mal, „scheint auf der Leinwand immer ein Doppelleben zu führen, eines, das man sieht und ein verborgenes. Man hat das Gefühl, dass sie ihre Gedanken für sich behält und dass ihr innerstes Leben ebenso wichtig ist wie das, was nach außen dringt.“ Aus ihrem irritierenden Flair machte er den Film „Das Geheimnis der falschen Braut“ und trug das Bild von der Sirene, die lockt und gleichzeitig Verderben bringt, so dick auf, dass ein ironisches Spiel daraus wurde. Verstanden hat das damals kaum jemand, und Truffaut fühlte sich nachher bemüßigt, seine Absichten zu erklären.
Wirklich auf den Punkt gebracht hat die Sache der Spanier Luis Buñuel. In seinem Film „Tristana“ spielte Catherine Deneuve die Rächerin mit dem makellosen Antlitz, und seine „Schöne des Tages“ erst lebte ganz und gar von der hocherotischen Ausstrahlung der Deneuve: der einmaligen Mischung aus Reinheit und Perversion. Tagsüber, man erinnert sich, geht die Madame der Bourgeoisie in ein Etablissement der Luxusklasse, um loszukommen von ihrer Frigidität. Die Lady und die Bordellgespielin, schmelzend schön und schockierend im Tun – wenn das kein Stoff für bürgerliche Träume ist.
In der Wirklichkeit hat Catherine Deneuve ihr Publikum immer auf Distanz gehalten. Manchmal sitzt sie unvermutet in den Pariser Kinos oder flaniert auf den Boulevards. „Die Leute sind sehr freundlich zu mir“, sagte sie, „sie mögen mich, besonders die Frauen. Schließlich bin ich kein Sex-Symbol. Ich könnte es nicht ertragen, wenn man mich anfassen würde.“ Wer mit ihr spricht, spürt rasch, dass die Spannung zwischen Schein und Sein auf einer anderen Ebene liegt. Mit Gerard Depardieu, dem neuen großen Liebhaber des französischen Kinos, hat sie sich ein vergnügliches Frage- und Antwortspiel geliefert. Sie bescheinigte dem virilen Helden der Nation eine geradezu feminine Darstellungslust und meinte das positiv. Er nannte die schöne Catherine den „Mann, der er gerne hätte sein wollen“ und meinte es auch positiv. Das sei schon wahr, hat die Deneuve geantwortet, sie habe gewisse männliche Züge an sich: Sachlichkeit, Engagement und Offenheit im Umgang mit anderen Menschen. Koketterie ist ihr verhasst.
Die Frau, die mir da gegenübersaß, wirkte entschieden, klug, am ehesten intellektuell. Sie formulierte präzise und ging sorglos und temperamentvoll mit der sonst so kostbar abfotografierten Mimik um. So wirken Frauen, die es gewohnt sind, im Beruf oder in der Familie Entscheidungen selbständig zutreffen. Dass sie es tut, dafür sprechen die wenigen, doch sensationellen Fakten, die man kennt aus ihrem beharrlich verteidigten Privatleben. Einige Jahre lang war die Deneuve mit dem englischen Modefotografen David Bailey verheiratet. Zwei Kinder hat sie, deren Vater sie nicht heiratete. Die dreizehnjährige Tochter Chiara stammt aus der Beziehung zu Marcello Mastroianni. Als ihr Sohn Christian zur Welt kam, nannte man das noch unehelich. Damals, mit neunzehn, hatte sie alle gegen sich; heute steht sie staunend vor dem späten Beifall: „Es gehörte kein Mut dazu, eine Situation zu bewältigen, die man nicht gewählt hat. Dies war ein Irrtum, eine totale Niederlage, und ich finde es nicht wünschenswert, ein Kind ohne Vater großzuziehen. Für das Kind ist es keine ideale Situation. Aber schließlich ist das Leben nicht ideal, und wir sind nicht auf der Welt, um glücklich zu sein.“
Von Roger Vadim, dem Vater des Sohnes und ewigen Pygmalion rasanter Blondinen, hat sie sich bald getrennt und die Karriere in ihre eigenen Hände genommen. Catherine Deneuve gilt als geschäftstüchtig und geschickt im Umgang mit dem Geld: „Nur als berufstätige und finanziell unabhängige Frau kann man eine selbständige Frau sein“, sagte sie mir. Sie bezeichnet sich klar als Feministin, was im weniger ganzheitlich denkenden Frankreich auch prima möglich ist, wenn man ein Dutzend Kleider von Yves Saint-Laurent im Schrankhängen hat.
Vielleicht hat der große Truffaut ja auch ins Schwarze getroffen, als er die zweite Rolle für sie schrieb. Marion Steiner ist bildschön und stark, verführerisch und tatkräftig in einem. Das, sagte sie, habe die Leute wenig erträumen lassen, aber „die Vielfalt des Charakters kommt meinem eigenen Naturell sehr nah“. Ziemlich viel für einen einzelnen Mann, so eine Rundumfrau, wenn sie es denn wäre. „Die Männer mögen gern sanfte und zarte und zerbrechliche Frauen“, sagte Catherine Deneuve dann auch am Ende des Gesprächs, „aber ich beeindrucke sie. Das verunsichert sie, das macht ihnen Angst – und das ist gut so.“ Da lachte sie wie jemand, der es halb ernst meint und halb nicht. Haben wir es mit einer neuen Sorte von Sirene zu tun – die lockt und sich entzieht, weil sie doch lieber auf die eigene Stärke baut?